…kam es plötzlich aus meiner Freundin Hilka, als wir im tiefsten Mittwinter 1991 gen Polarkreis fuhren – obwohl für sie Auswandern gen Norden bis dahin undenkbar war 😘
Einige Monate zuvor meinte sie auf der Couch in unserer Wohnung in Aidlingen plötzlich, ob wir nicht mal Auswandern sollten – womit sie bei mir natürlich offene Türen eintrat, da ich schon immer weltoffen reiselustig war, und ja auch meine Ahne einstmals mit ihrem Mann nach Schlesien auswanderte – bis der Krieg sie mit meinem sechsjährigen Papa und seinen drei kleinen Brüdern auf eine unglaubliche Flucht trieb…
Auf mein „gerne“ zu Hilkas Auswander-Idee reagierte sie sofort mit: „Ja, aber wohin dann?“ Worauf ich meinte mir sei es egal, weil ich mir seit meiner Nordkap-Motorradtour zwei Jahre zuvor (mit meiner damaligen Freundin Christine) auch Skandinavien vorstellen könne, worauf sie sofort erwiderte,dass sie zwar noch nie weiter nördlich als ihre Geburtsstadt Hamburg gewesen wäre, aber doch eher in südliche Gefilde wie z.B. Frankreich oder Griechenland wolle. Worauf ich wiederum meinte, dass es mir egal wäre aber ich nicht suchen wolle, weil ich denke, dass das Richtige auf uns zukommen würde wenn und wann es denn dran wäre – wie auch das mir plötzlich zugefallene MotoCross oder mein Wechsel von Mercedes ins Handwerk (nach dem thrillerwürdigen Ende auf der Mittelmeerumrundung-Motorradtour), die, wie das Auswandern, schon seit meiner Kindheit irgendwie ein weitentfernter Wunsch waren…
Nachdem mein Freund Jörg, den ich während meiner Marine-Zeit 1985/86 in Kiel kennengelernt hatte und der inzwischen mit Frau und Kind in Göteborg wohnte, immer wieder bat ihn doch mal dort zu besuchen, bekam ich die Idee das über Weihnachten mit dem Auto zu machen. Und dann einfach weiter gen Polarkreis zu fahren – da ich mir ein im Sommer so tolles Land entgegen der allgemeinen Meinung im Winter nicht nur dunkel und kalt vorstellen konnte.
Von der Idee war Hilka natürlich nicht begeistert meinte aber, dass sie die zwei Wochen wohl irgendwie überstehen würde.
Also fuhren wir mit Schneeketten im Gepäck mit unserem alten Audi 100 vor Weihnachten los und verbrachten die Festtage bei Jörg und seiner Familie in der Hochhauswohnung im tristen Göteborg.
Zwischen den Tagen fuhren wir dann auf kleinen Straßen dem Grenzgrbirge entlang weiter gen Norden. Am zweiten Tag wurde es dann weiß und während die Tageslänge natürlich abnahm, nahm die Schneehöhe zu. Auf schneeglatten Straßen ging es durch einsame, tiefverschneite Wald- und Seenlandschaft während stundenlangem Sonnenauf- und Untergang. Für die Übernachtungen vielen uns, durch mein Gefühl, immer idyllische Plätze und Gästehütten zu.
Als wir dann, nach drei Tagen schon recht weit oben, gerade durch einen Schneesturm auf einer Brücke zwischen zwei Seen fuhren, meinte Hilka plötzlich: „Hier könnten wir eigentlich auch ein Häuschen haben“ !?! 🙃
Am nächsten Tag, irgendwo mitten im Nordschweden-Nirgendwo hielt ich an einer Abzweigung wo wir meinem Gefühl nach links sollten um die noch ca. 150 km bis zum Polarkreis zu kommen – aber Hilka, die die Straßenkarte studierte, meinte wir müssten uns geradeaus halten, was wir dann auch taten

23 km später, bei einsetzender Dunkelheit (schon um kurz nach 14 Uhr bei der starken Bewölkung) bekomme ich beim Schild nach links „Kasker 2 km“ das Gefühl dass es uns wieder zu einem von der Durchgangsstraße abgelegenen, idyllischen Übernachtungsplatz führen könnte. Nach dem Ortschild Mellanström und dem kurzen Straßenstück über den vermeintlichen See, stehen wir nach einem guten halben Kilometer vor einem beleuchteten Lebensmittelladen mit zwei Zapfsäulen…
„Ein Traum!“ entfährt es mir „abgelegen, ein kleines Dorf mit Laden und Sprit und dann noch auf einer Landzunge oder Insel – wenn es jetzt noch eine Gästehütte gibt, dann würde ich hier gerne den Jahreswechsel verbringen!“
Als wir den Laden betreten fragt die Frau an der Kasse auf Englisch wo wir um Gotteswillen in dieser gottverlassenen Zeit herkämen – oder ob wir Testfahrer wären, obwohl auch die Wintertests auf dem Eis in dieser Zeit ruhen!?
Einstimmig meinen wir, dass wir mit dem Auto von Deutschland gestartet wären und es uns diese Zeit hier oben sehr gut gefalle! Und ob es deshalb eine Möglichkeit gäbe über den Jahreswechsel eine Gästehütte zu mieten? Worauf sie sofort jemand anruft und uns die 200 Meter dorthin erklärt – aber meint falls wir noch einkaufen wollten müssten wir das in den nächsten zwei Stunden noch tun, da sie am morgigen 30. Dezember wegen Inventur geschlossen hätte.
Als wir unsere Sachen in der netten, kleinen Gästehütte des lieben, alten Paares verstaut haben, machen wir uns warm gekleidet zu Fuß zum Laden – mit kleinem Umweg bis zum Straßenende wo wir ein verlassenes Haus mit Seeblick sehen.
Zurück im Laden fragen wir überschwänglich die Frau an der Kasse ob man hier auch ein Haus kaufen könne, so wie dieses eine? Sie meint das wäre nur noch ein Sommerhaus aber sie wisse zufällig eines, das ihres Bruders der vor 3 Jahren gestorben wäre. Wieviel es kosten würde wollen wir natürlich wissen und ob es am See wäre? Sie meint da es ein Inseldorf wäre, wären quasi alle Häuser am See und da der Nachlassverwalter sie kürzlich wieder fragte ob sie nicht irgendwelche Interessenten für das Haus kenne, wisse sie zufällig den Preis – umgerechnet ca. 40000 DM. Wir schauen uns verdutzt-verzückt an und lassen sie euphorisch einstimmig wissen, dass wir wirklich Interesse haben.
Am Abend in der Hütte gibt es gedanklich und verbal natürlich nur ein Thema – und einstimmig sind wir überzeugt, dass wir es machen müssen, da die Summe ungefähr dem entspricht was wir gemeinsam (für ein neueres Auto schon geplant) haben.
Am nächsten Vormittag machen wir uns von der Hütte aus aufs schneebedeckte Eis über den See. Dass wir damals auf dem wegen der Strömung in Kasker sehr dünnem Eis nicht eingebrochen sind, lässt mich bis zum heutigen Tag mit meinem Bewusstsein durch den zugefallenen Traumberuf als langjähriger Wildnisführer erfrösteln…

…und darf mir durch die gnadenvolle Berufung danach, als (durch mein Vertrauen wundernvoll geführter) Helfer für Mitmenschen in Not, der „Trag“weite der ‚Spuren im Sand‘ dankbarst bewusst sein.
Auf unserem Rückweg durchs Inseldorf kommen wir an einem netten Mann vorbei der vorm Haus an einem Schneemobil schraubt und sich für die zwei Fremden in dieser Zeit interessiert. Wir erzählem ihm in unserer Freude wie wir hier gelandet sind und dem möglichen Hauskauf nach der Begegnung mit der Ladenbesitzerin. Lachend meint er, er hieße Ulf und die Frau wäre seine Schwester Ulla – und in dem Haus hätten sie mit ihren Eltern und Geschwistern einige Jahre selbst gelebt. Als wir uns verabschieden meint er, wenn wir Lust hätten könnte er sich vorstellen, dass wir uns heute Abend bei der Sylvesterfeier mit seiner Familie bei Ulla und ihrer Familie wiedersehen würden…
Zwei Stunden vor Mitternacht stehen dann plötzlich zwei Männer mit Tretschlitten vor unserer Hütte. Es ist Ulf und sein Schwager Torbjörn und sie meinen in feuchtfröhlicher Stimmung, wir sollen ihnen doch bitte nun zum Jahreswechsel folgen.
So feiern wir zu zwölf den Übergang ins neue Jahr und dürfen feststellen, dass alle sehr froh sind, wenn wir als junges Paar mithelfen die Zukunft des kleinen Inseldorfes zu sichern. Als wir uns zwischen drei und vier Uhr herzlich verabschieden meinen sie, da es mir als Ex-Motocrosser sicher Spaß machen würde, würden sie für uns nach dem Ausschlafen eine Schneemobiltour zu einer Hundeschlittentour machen…
Kurz nach Mittag fahren wir dann, auf einem eigenen Skidoo, unseren Gastgebern hinterher übern See zu einer Huskiezucht, wo ich, total ver- und entzückt in die weite Natur schauend, mit Tränen in den Augen fühlen und verstehen darf, dass dieser Platz hier oben auf mich gewartet hat. 🙏
Am nächsten Tag besichtigen wir mit Ulla „unser“ (hoffentlich) zukünftiges Haus. In nicht mal 10 Minuten ist die Sache vorüber – nicht weil Ulla keine Zeit hat, sondern weil mich der Zustand des Hauses nicht wirklich interessiert – mein Herz weiß – was spielt da sonst eine Rolle – auch wenn ich später z.B. an den relativ neuen Fenstern mit dreifach Verglasung doch recht froh bin.
Am nächsten Tag starten wir, mit einem kleinen Abstecher zur Stadt Arjeplog (wie auch Mellanström idyllisch zwischen mehreren Seen gelegen) und Skellefteå am Bottnischen Meer gen (dadurch) 2750 km entfernte Deutschland-Heimat – die wir irgendwie an einem Stück nach 27 Stunden erreichen 😎
In den nächsten 2 Monaten regeln wir die Formalitäten und fahren dann im März wieder hoch und dürfen mit ein paar Möbeln von Ulla schon im Haus wohnen bevor der Kauf nach ein paar Wochen abgeschlossen ist. Durch den Nachlassverwalter ging er reibungslos.
Wir erleben wundervolle Tage und Musiknächte mit verschiedenen Einheimischen – machen aber auch eine weniger schöne Er“fahrung“: Bei der Rückfahrt vom Berg in Arjeplog bleibt das vor uns fahrende Auto und ein Entgegenkommendes plötzlich stehen, so dass mir ohne die hier obligatorischen Spikes nur die Wahl bleibt in das entgegen- oder vor mir stehende Auto zu schlittern, aber da sich im Ersteren ein Kind über die Vordersitze beugt bleibt nur das Heck des Saab. Diesem passiert nicht viel, aber die Knautschzone unseres Audis ist relativ weit reingeschoben 😥
Ullas Mann Torbjörn schleppt uns die gut 30 km nach Mellanström zurück und ein anderer Torbjörn im Inseldorf, als guter Mechaniker bekannt, hilft mir, die Schrottplätze in Nordschweden telefonisch abklappernd in der 350 km entfernten Küstenstadt Umeå einen baugleichen Audi ohne Frontschaden zu finden und fährt mit mir, Anhänger und Flex kurzerhand dort hin wo den kompletten Vorbau des Schrott-Audis abflexe.
Während ich zurück im Inselsorf in Torbjörns gemieteter Schrauber-Garage auch den Vorbau unseres Audis abflexe und es mir gelingt den Schrott-Vorbau milimetergenau wieder anzuschweißen, bestellt Torbjörn die benötigten Ersatzteile. Das Einzige was zum Schluss fehlt, ist das Blinkerglas, was ich kurzerhand aus einer Plastikflasche und einer gelben Glühbirne erstelle. Im Inseldorf hinterlässt das natürlich Erstaunen über den baldigen Einwanderer…
Was sich allerdings bedeutend schwieriger gestaltet als der Hauskauf, da es die EU noch nicht gibt und man somit ohne Aufenthaltsgenehmigung keine Job und ohne Job keine Aufenthaltsgenehmigung bekommt?!?
Im Sommer sehen dann meine Eltern unser Grundstück vor uns das erste Mal ohne Schnee da sie mit einem befreundeten Ehepaar nach Mellanström fahren – der Jugendfreund ist Abteilungsleiter bei Mercedes und bekommt dafür einen Testwagen.
Als sie zurück sind verstehen sie uns und der Freund macht uns mit einem sehr netten Verantwortlichen der Mercedes-Wintertests bekannt, der uns in Aidlingen besucht und sehr interessiert ist, jemand ganzjährig dort oben zu haben. Er versucht alles, mir eine kleine Anstellung bei Mercedes zu ermöglichen – aber – zum Einen bin ich erst ein paar Jahre zuvor (nach dem thrillerwürdigen Ende auf der Mittelmeer-Umrundung) von Mercedes weggegangen und zum Anderen ist leider gerade absolutes Aufnahmestop bei Mercedes…
Für Hilka gestaltet sich die Ungewissheit mit der Auswanderung nicht weniger schwierig, da ihr Vater stirbt und sie natürlich als Einzelkind Verantwortung für ihre kränkliche Mutter hat.
Während ich 1993 für mehrere Monate in Mellanström bin und versuche Möglichkeiten für einen Job zu eröffnen wird plötzlich bekannt, dass 1994 der EWR (Europäischer Wirtschaftsraum) kommt und man deshalb innerhalb Europas während dem Urlaub in einem anderen Land eine Anstellung oder eigene Firma beginnen kann und daraufhin Aufenthaltsgenehmigung bekommt…
Zurück in Deutschland bekomme ich die Idee mit meinem Zelt, Kanu und sonstiger Outdoorausrüstung eine Individual-Reisefirma anzufangen. Papa ersteht von der Firma einen ausgemusterten 286er PC mit dem ich verzweifelt versuche erste Schritte zu lernen. Erst als ein Bekannter bemerkt dass der PC fehlerhaft ist und ich mich auf einen funktionierenden einlerne, gelingt es mir über Winter nach Feierabend allmählich das erste Prospekt zu schreiben… Aus unseren Videos der bisherigen Fahrten nach und Zeit in Mellanström mache ich einen kurzen Werbefilm und meine erste Diashow im Vereinsheim in Maichingen.
Die Situation kostet mich alle Kraft da mir die Arbeit als Metallbauer (vor allem am Schraubstock stehend) durch den Kreuzbandschaden beim Seitenwagen-Motocross ein paar Jahre zuvor immer schwerer fällt – und Hilka sich (in aller Freundschaft) von mir trennt, da sie sich in jemanden Anderen verliebt habe.
Anfang 1994 bin ich dann wieder in Mellanström um die eigene Firma zu beantragen und werde zu einem Gremium geladen um mein Geschäftsmodell vorzustellen. Nachdem man meine Idee gehört, das Prospekt durchgelesen und das Werbevideo angeschaut hat möchte man wissen wieviel mich das Werbematerial gekostet habe, etwas beschämt komme ich auf ca. 50 Euro – was sie erstaunt und zweifellos die Firma anerkennen lässt, mit der Erklärung, dass man sich um den Erfolg von jemanden der mit so geringen Mitteln und so viel Herz so etwas auf die Beine stellt keine Angst haben müsse…
Solange ich, zurück in Deutschland, warte bis die Firma offiziell eingetragen ist, hilft Hilka mir mit vollem Einsatz das Werbematerial zu vervielfältigen – was herzlich lieb ist, aber meinen Verlustschmerz natürlich nicht weniger macht.
Am 24.5.1994, ein Tag vor meinem 30. Geburtstag, ist meine Firma NAPUTO eingetragen.
Gute sechs Wochen danach, am 8.7. bin ich startklar für den Umzug nach Mellanström Eigentlich hätte ich noch mehr Zeit gebraucht aber für Anfang August waren schon die ersten offiziellen Reisegäste angeneldet. Hatte die letzten Wochen fast jede Nacht an dem Anmelde- und Reisebestätigungsmaterial sowie Checklisten und den Reisvorbereitungen gearbeitet und dann in den letzten Tagen den spärlich eingerichteten 5,15er Wilk-Wohnwagen meiner Eltern (der zu seinem Beginn als Büro bei der Olympiade in München fungierte) bis zum Bersten beladen. Nach herrlichem Abschied von Hilka, die zu meiner Verwunderung auch Tränen in den Augen hatte, und von meinen Eltern geht es mit meinem Ausbildungskollegen und Freund Rainer los gen Mellanström.
Als ich Rainer unterwegs sage dass Hilka natürlich jederzeit zu mit zurückkehren dürfe wenn sie dafür fühle kann und will er das nicht verstehen, ja er nimmt mir diese Einstellung irgendwie sogar übel!?
Nach zweieinhalb Tagen, zwei Übernachtungen zwischen dem Umzugsgut umd knapp 2550 km auf der kürzesten aber leider zum Teil auch sehr hoplrigen Strecke, kommen wir im Inseldorf an.
Als ich im leeren Wohnzimmer stehend auf den See hinunterblicke, beginnt es mich zu drehen und ich frage mich warum um alles in der Welt ich das alles mache?!? Die Freundin verloren, keine Sicherheit mehr, weit weg von zuhause und meiner Familie, Freunde und Bekannte… und im selben Augenblick rafft irgendwas mich zusammen und lässt mich gesund denken: okay, Du bist überarbeitet und -müdet und jetzt gilt es einfach einen Schritt nach dem Anderen weiter zu gehen…
Im August und September kommen dann die ersten offiziellen Reisegruppen und währenddessen kommen immer öfter Faxe von Hilka in denen klar wird, dass sie gerne zu mir (und nach Lappland) zurückkehren würde.
Im November fahre ich nach Deutschland und mache, mit Hilka an meiner Seite, meine erste Diashow in Aidlingen – im Musiksaal der Hauptschule.
Als wir dann mit einer kleinen Werbetafel auf dem Weihnachtsmarkt stehen, fragt ein Mann wie wir diese tollen Reisen vermakten würde? Als ich auf die Werbetafel deute, zückt er mit etwas Mitleid seine Visitenkarte und meint da würde er uns gerne etwas helfen. Er ist Messechef von Stuttgart und bietet uns im Januar kostenlos einen kleinen Nischenplatz auf der so begehrten und auf Jahre hinaus restlos ausgebuchten CMT-Reisemesse.
Es läuft 🙏